Aufgrund steigender europäischer und geopolitischer Risiken müsse sich die deutsche Wirtschaft auf steigende Herausforderungen einstellen. „Die besseren sechs Jahre - mit Erfolgen für alle Sektoren – liegen hinter uns. Die nächsten sechs Jahre werden schwieriger“, prognostizierte Günther H. Oettinger (CDU) EU-Kommissar für Haushalt und Personal beim Wirtschaftstag 2018 der Volks- und Raiffeisenbanken. Auch die VR Bank HessenLand war mit mehr als 50 Vertretern aus Wirtschaft und Politik in der vollbesetzten Jahrhunderthalle vertreten.
Wirtschaftstag 2018 - VR Bank HessenLand
Politische und digitale Herausforderungen für Unternehmen steigen

Neuwahlen wären „Flucht nach vorne“ für Großbritannien
Der durch die britische Premierministerin Theresa May vorgelegte Brexit-Deal habe keine Chance auf eine Mehrheit im Parlament, prognostizierte Günther H. Oettinger, vorgezogene Neuwahlen in Großbritannien sind nach seiner Einschätzung als „Flucht nach vorne“ gut vorstellbar. Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft sei eine nationale Abschottung der falsche Weg, betonte der EU-Kommissar, es bedürfe einer starken Europäischen Union für deutlich bessere Chancen, auf der Weltbühne gehört zu werden.
„Digitale Infrastruktur als anhaltende Herausforderung“
Eine anhaltende Herausforderung für die deutsche Wirtschaft liegt in der digitalen Infrastruktur, wie Ralf W. Barkey, Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen, hervorhob. Aufgrund der schlechten Versorgung mit mobilem und leitungsgebundenem Internet liege Deutschland im aktuellen globalen Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) in dieser Kategorie nur auf Platz 31 – und das, obwohl das WEF Deutschland insgesamt zum innovationsfähigsten Land der Welt kürte, wie Barkey deutlich machte. „Insbesondere zur Stärkung der ländlichen Räume brauchen wir flächendeckend eine wirklich leistungsfähige digitale Infrastruktur“, unterstrich der Verbandschef. Wie Oettinger prognostizierte, wird die digitale Infrastruktur zunehmend auch für Immobilieneigentümer ein Thema: „Der Wert einer Immobilie wird sich künftig nicht nur nach dem Zugang zu attraktiven Orten wie dem Bodensee oder der Anbindung an Autobahnen und Flughäfen bemessen, sondern auch nach der Qualität des Onlinezugangs.“
Flächendeckende Glasfaser-Versorgung unrealistisch
„Ich denke nicht, dass wir flächendeckende Glasfaser-Versorgung für alle Haushalte in Deutschland erreichen können“, goss Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, Wasser in den Wein. Ein flächendeckender Ausbau sei zu teuer und entspreche auch nicht dem Bedarf, argumentierte der Telekom-Chef. Ziel der Telekom sei es, 80 Prozent aller deutschen Unternehmen mit Glasfaser zu versorgen. Allerdings sei es erforderlich, dass auch andere Anbieter – und nicht nur die Telekom – in den Glasfaser-Ausbau investierten.
Kritisch äußerte sich der Telekom-Chef über den von der Bundesregierung geplanten Rechtsanspruch auf schnelles Internet ab 2025. „Ein solcher Anspruch wäre rechtlich sehr schwierig umsetzbar.“ Es sei nicht sachgerecht, wenn die Politik hier eine Leistung einfordere, für deren Umsetzung die Privatwirtschaft aufkommen müsse, fügte Höttges hinzu.
Ins Hintertreffen zu geraten, drohe Europa derweil beim Aufbau von Cloud-Infrastrukturen, warnte Höttges. Nur noch fünf Prozent der europäischen Daten lägen auf Cloud-Servern von europäischen Anbietern, kritisierte der Telekom-CEO. Der Markt werde dominiert von den US-Konzernen Microsoft, Google, Amazon und Apple einerseits und chinesischen Unternehmen andererseits.
Gegen diese Kritik wehrte sich Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Auch wenn Microsoft ein US-amerikanisches Unternehmen sei, bedeute dies nicht, dass europäische Daten auf Servern in den USA gespeichert würden. „Die Daten liegen typischerweise in der Nähe der Kunden.“ In Europa seien dies insbesondere Rechenzentren in Dublin und Amsterdam sowie künftig auch in Frankfurt und Berlin.
Die Unternehmer beurteilten den diesjährigen Wirtschaftstag als ausgesprochen interessante Veranstaltung mit herausragenden Referenten und eindrucksvollen Redebeiträgen – aktuell und vor allem am „digitalen“ Zahn der Zeit mit zukunftsgerichtetem Blick aus unterschiedlichen, branchenübergreifenden Perspektiven.